Barbara Lanati
Una Storia plasmata nella cera

— Eine geformte Geschichte in Wachs —

[...] Es sind Siebdrucke auf Paraffin unter Paraffin. Als Serie betrachten die Arbeiten unsere europäische Geschichte, die den Hintergrund und die Szenerie der ersten vier Jahrzehnte des zwanzigsten Jahrhunderts bildet. Mit Fragmenten von Bildern streifen sie den spanischen Bürgerkrieg und Nazideutschland. Synekdochisch umkreisen sie diese Themen: Zeitungsphotos und historische Photos, veränderte und gefälschte Dokumente, Standphotos jener Jahre, die der Künstler Markus Döhne auf Grund seines Alters nicht erlebt hat.

 

[...] Es handelt sich um ein armes Material, wie bei den Jahrzehnten, von denen Döhne spricht: labil, leichtverderblich und doch fähig, in der ikonographischen Nacktheit der Stücke, auf denen Photogramme erscheinen, die Unauslöschbarkeit der sich im Innern kristallisierenden Momente und Figuren aufzuzeichnen. Die so geschaffenen »Blöcke« Döhnes, beunruhigende Fundstücke, die sich streng einer nahe dem anderen aneinander reihen, erzählen uns davon, wie weit jene Jahre demjenigen scheinen, der nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurde, wie pervers nah aber auch, wie eine Klaue im Unbewusstsein und im Gedächtnis dessen versunken, der die Erinnerung daran »auszutreiben« sucht. Die Blöcke scheinen eher aus Bernstein als aus Paraffin zu sein, mit im Innern versiegelten Fragmenten aus Holz und kleinen Insekten, Erinnerung an die Ferne unserer Ursprünge: die Geschichte vor der Geschichte, die Geschichte der vollendeten Gegenwart, die neben Rhetorik und Literatur eine ganze Generation mit Blut gebrandmarkt hat, die nach dem Holocaust zur Welt gekommen ist. Die Generation, die heute verlangt, das obszöne Spektakel einer Epoche der europäischen Geschichte — da Kunst zu machen unmöglich schien — nicht vergessen zu können und es deshalb aus der Nähe betrachten will, so wie vor zwanzig Jahren Susan Sontag in ihrem heute noch gültigen Text Against Interpretation.


[...] Döhne arbeitet über die Erinnerung und deren Auslöschung, über das Gewicht der Erinnerung und deren potentielle, teilweise Wiederaufarbeitung, er bezieht folglich Stellung durch die Haltung dessen, der die Wunden, die die Geschichte im Körper der kollektiven Vorstellung hinterlassen hat, annimmt. Über die eigentliche Tragödie der Geschichte hinausgehend bilden sie so Schlüsselbegriffe des Wortschatzes, auf dem sich die Sprache der Gegenwart konstruieren wird. Wie es die beiden Meister, die, wie mir scheint, im Hintergrund der Arbeiten Döhnes zu erkennen sind — Duchamp und Warhol — zu ihrer Zeit zu tun wussten: mit vielleicht größerer Nüchternheit und Ironie der erste, mit gewollten, paranoischen formalen Zugeständnissen der zweite.

Übersetzt aus dem Italienischen von Martin Pötz

aus:
il manifesto,
Rom,
29. Mai 1990