Stefanie Endlich, Angelika Kettelhack, Walter Vitt
Laudatio — Kritikerpreis 2007 für Bildende Kunst

Die Arbeiten von Markus Döhne sind mehrstufig und grenzüberschreitend. Ausgangsmaterial und Thema zugleich ist die Photographie, genauer: sind medial vermittelte Photos und Dokumente aus diversen Zeitepochen, die er bei Recherchen entdeckt hat oder die als ikonographische Zeichen der Zeitgeschichte bekannt und im Gedächtnis der Betrachter sofort abrufbar sind. Dabei verwendet er vor allem Material aus der Geschichte der europäischen Linken, aber auch Bilder gegenwärtiger Kriege und Globalisierungsprozesse sowie kulturgeschichtliche Motive von einst und jetzt. Photographien scheinen immer ein Stück unmittelbarer Nähe und dokumentarischer Beweiskraft zu verkörpern. Doch wie verhalten sie sich tatsächlich zur Realität? Was erzählen sie, was verbergen sie? Wie werden sie wahrgenommen, gedeutet oder umgedeutet? Wie in Erinnerung überführt? Und wie wird Erinnerung gespeichert, bewahrt, verändert oder rekonstruiert?

Markus Döhne, 1961 in Limburg geboren, lebt in Köln, wo er bis 1991 Freie Kunst studiert hat. Bei den Transformations-Prozessen seiner Werkreihen verbindet er unterschiedliche graphische, photokünstlerische, malerische und bildhauerische Mittel mit konzeptuellem Denken auf hohem theoretischem Niveau. Die dokumentarischen Vorlagen verwandelt er in dreidimensionale Kunstwerke, die zunächst fremd und verwirrend erscheinen. Sie rufen eine Vielzahl von Assoziationen hervor und entfalten ein ästhetisches Eigenleben. So wird auf verschlüsselte und zugleich suggestive Weise eine Verbindungslinie zwischen dem historischen Anlass und der heutigen Erfahrungswelt des Betrachters geschaffen, der entdeckt, dass die Utopien und Gefühle von damals nicht verschwunden, aber wesentlich verändert und neu zu fassen sind. Über bewusste Distanz ist eine neue Form der Annäherung möglich.

Die Frage nach Beschaffenheit und Funktionsweise des kollektiven Bildgedächtnisses ist heute aktueller als je zuvor. Sie wird in Philosophie und Literatur diskutiert, in Geschichts-, Kultur- und Medienwissenschaften. Markus Döhne hat sie mit künstlerischen Mitteln erforscht und zum Leitmotiv seiner Arbeit gemacht. Mit ihm wird ein Künstler geehrt, der — was sonst nur selten gelingt — Bildende Kunst, Politik und die kritische Reflexion des eigenen Mediums auf überzeugende Weise verbindet und daraus seine unverwechselbare ästhetische Sprache entwickelt.

Rede anlässlich
der Verleihung des
Kritikerpreises 2007
für Bildende Kunst
des Verbandes
der Deutschen Kritiker
Berliner Philharmonie,
22. Mai 2007